SEKTOR STEHT VOR PROBLEMEN: TALIBAN WOLLEN AFGHANISTAN ZUM URLAUBSLAND MACHEN

Bislang sind es nur jährlich einige Tausend Menschen, die Afghanistan besuchen. Seit der Machtübernahme durch die Taliban bemüht sich die Terrorgruppe, die positiven Aspekte des Landes zu präsentieren. Dazu soll nun ein ganzer Tourismussektor entstehen.

In einem Klassenzimmer in Kabul sind etwa 30 Männer versammelt. Sie gehören zum ersten Jahrgang eines von den Taliban geführten Instituts, das Fachleute für den Tourismus und das Gastgewerbe ausbildet. Es ist eine bunt gemischte Truppe: Ein Schüler ist Model, ein anderer erst 17, und keiner hat Vorwissen im Bereich Tourismus, Gastronomie oder Hotellerie. Jeder hat einen anderen Bildungsstand und Lebenslauf, und alle sind Männer - afghanische Frauen dürfen nur bis zur sechsten Klasse in die Schule gehen.

Auf der Weltbühne sind Afghanistans Machthaber Außenseiter, vor allem wegen ihrer Unterdrückung der Frauen und Mädchen. Die Wirtschaft hat zu kämpfen, die Infrastruktur ist schlecht und Armut ist weit verbreitet. Und doch besuchen Ausländer das Land aufgrund des starken Rückgangs der Gewalt, verbesserter Flugverbindungen mit Drehkreuz in Dubai - und weil es sich mit einem Urlaub in Afghanistan gut angeben lässt. Die Zahlen sind nicht hoch - das waren sie nie - doch der afghanische Tourismus ist im Aufwind: 2021 wurden 691 ausländische Touristen gezählt, 2022 schon 2300, und 2023 waren es 7000.

Nach Angaben von Mohammed Said, Leiter der Tourismusbehörde in der Hauptstadt Kabul, kommen die meisten Besucher aus dem nahen, bevölkerungsreichen China. Afghanistan hat Vorteile gegenüber einigen seiner Nachbarländer. "Sie sagten mir, dass sie nicht nach Pakistan gehen wollen, weil es gefährlich ist und sie angegriffen werden. Das haben mir auch die Japaner gesagt", erklärt Said. "Das ist gut für uns."

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Probleme mit dem Visum

Doch es gibt auch Nachteile. So ist es schwierig und teuer, an Visa zu kommen. Viele Länder haben ihre Beziehungen zu Afghanistan abgebrochen, nachdem die Taliban an die Macht zurückgekehrt waren, und kein Staat erkennt sie als rechtmäßige Herrscher des Landes an. Die afghanischen Botschaften wurden entweder geschlossen, oder sie stellten ihre Tätigkeit ein. Zwischen den Botschaften und Konsulaten mit Personal aus der früheren, vom Westen unterstützten Regierung, und denen, die unter der Kontrolle der Taliban stehen, herrscht ein ständiger Machtkampf.

Said räumt ein, es gebe Hindernisse für die Entwicklung des afghanischen Tourismus. Doch er kooperiere mit den Ministerien, um diese zu überwinden. Er arbeitet darauf hin, für Touristen ein Visum bei Ankunft in Afghanistan zu ermöglichen, was allerdings noch Jahre dauern könnte. Zudem gibt es Probleme mit dem Straßennetz, das in einigen Teilen des Landes nur halb asphaltiert oder überhaupt nicht vorhanden ist. Und der afghanische Luftraum wird von Fluggesellschaften weitgehend gemieden.

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Kabul hat die meisten internationalen Flüge, doch kein afghanischer Flughafen verfügt über Direktverbindungen zu den wichtigsten Tourismusmärkten wie China, Europa oder Indien. Dennoch will Said Afghanistan zu einem Tourismus-Hotspot machen - ein Ziel, das die Taliban-Spitze wohl unterstützt: "Ich bin auf Anweisung der Ältesten (Minister) in dieses Amt geschickt worden, sie müssen mir also vertrauen."

Malerische Fotos auf Instagram

Auch die Auszubildenden haben Ambitionen. Das männliche Model, Ahmed Massud Talasch, möchte Afghanistans Instagram-taugliche Orte für malerische Fotos kennenlernen sowie die Geschichte des Landes bei Medienauftritten präsentieren.

Samir Ahmadsai hat eine Wirtschaftsschule abgeschlossen und möchte ein Hotel eröffnen. "Man hört, dass Afghanistan rückständig, arm und von Krieg geprägt ist", sagt er. "Wir haben 5000 Jahre Geschichte. Es sollte eine neue Seite von Afghanistan aufgeschlagen werden."

Zu den Kursen gehören auch afghanisches Kunsthandwerk und Grundlagen der Anthropologie. Ein inoffizielles Thema ist der Umgang mit ausländischen Frauen und inwieweit ihr Verhalten oder ihre Gewohnheiten mit örtlichen Bräuchen und Vorschriften kollidieren könnten - zum Beispiel beim Thema Rauchen oder Essen in der Öffentlichkeit oder beim Umgang mit Männern, die nicht mit ihnen verwandt oder verheiratet sind.

Frauen brauchen männlichen "Aufpasser"

Die Taliban haben eine Kleiderordnung für Frauen eingeführt und verlangen, dass sie auf Reisen einen männlichen Aufpasser oder Verwandten dabeihaben. Allein essen oder reisen zu gehen oder sich mit anderen Frauen in der Öffentlichkeit zu treffen, ist schwieriger geworden. Da Fitnessstudios für Frauen nicht zugänglich sind und Schönheitssalons verboten wurden, gibt es kaum Orte, an denen sie sich außerhalb des Hauses treffen können.

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Nun hat das einzige Fünf-Sterne-Hotel des Landes, das Serena, sein Frauen-Spa und den Salon für ausländische Frauen nach einer monatelangen Schließung wieder eröffnet. Um hineinzukommen, müssen Ausländerinnen ihren Reisepass vorlegen. Frauen mit dem Vermerk "in Afghanistan geboren" sind nicht zugelassen.

Die Beschränkungen für afghanische Frauen und Mädchen belasten ausländische Reiseunternehmen. Sie versuchen nach eigenen Angaben, den positiven Aspekt kultureller Interaktion in den Vordergrund zu stellen, indem sie spenden, lokale Projekte unterstützen oder nur familiengeführte Unternehmen besuchen.

Der Ire Shane Horan ist Gründer des Berliner Unternehmens Rocky Road Travel und betont, eine Reise nach Afghanistan sollte nicht als Billigung einer bestimmten Regierung oder eines politischen Regimes gesehen werden: "Letztendlich sollte das Ziel sein, verantwortungsvolle Tourismuspraktiken zu unterstützen, die einen positiven Beitrag zur örtlichen Wirtschaft leisten und gegenseitigen Respekt und Verständnis fördern, während man sich gleichzeitig des breiteren politischen Kontextes in Afghanistan bewusst ist." Nach seinen Worten gibt es keine Vorgaben von den Behörden, was die Reisegruppen sehen oder tun sollten. Er betont, das Unternehmen arbeite eng mit einer Frauenrechtsorganisation in Afghanistan zusammen und spende ein Prozent des Reisepreises an deren Programme.

Dass zu der Ausbildung keine Frauen zugelassen sind, ist kein Thema bei den Schülern. Doch anonym sagt ein Mitarbeiter der Tourismusbehörde: "Es ist eine herzzerreißende Situation. Selbst weibliche Familienmitglieder fragen, ob sie hier eine Ausbildung machen können. Doch mit dem Regierungswechsel hat sich die Politik geändert. Die Frauen, die vorher studierten, kamen nie zurück. Sie haben nie einen Abschluss gemacht."

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