BLICK INS NACHBARLAND: EIN KULTURTEMPEL FüR DIE KURGäSTE

Teplice feiert sein riesiges Theater, das einst von Dresdner Architekten gebaut wurde. Der Theaterdirektor dankt auch einem pensionierten Lehrer aus Frankreich.

Für ein Raucherkabinett ist der Raum opulent. Drücken sich heute Raucher in kleine Kabinen oder paffen gleich im Freien, war für die Freunde des Glimmstengels vor 100 Jahren im Stadttheater Teplitz-Schönau ein prächtiger Saal vorgesehen. "Das ist das Kleine Foyer", sagt Paul Lowy. Er kennt sich in dem monumentalen Bau, der am 20. April 1924 eröffnet wurde, wohl am besten aus. Zumindest sagt das Přemysl Šoba, der Direktor des Kulturhauses von Teplice, zu dem auch das Theater gehört, das heute Krušnohorské divadlo (Erzgebirgstheater) heißt. "Alles, was wir über die Geschichte des Theaters wissen, haben wir nur aus einer Quelle und die heißt Paul Lowy", räumt Šoba ein.

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Auf der Suche nach Informationen über die Geschichte des Theaters stieß er auf eine französischsprachige Internetseite. Sie ist das digitale Archiv des Theaters. Nun, da das Theater sein 100-jähriges Bestehen feiert, wollte Šoba sich bedanken und Paul Lowy nach Teplice einladen.

Spur führt nach Frankreich

Lowy ist der Gast mit der weitesten Anreise. Er lebt in dem nordfranzösischen Städtchen Hérouville-Saint-Clair in der Normandie. Doch wie kommt das Archiv eines Theaters, das sich in Teplice befindet, nach Frankreich? Dafür gibt es eine simple Antwort: Paul Lowy ist der Enkel von Fritz Kennemann, Schauspieler und Regisseur am Stadttheater, und zwischen 1929 und 1933 sein Direktor. Er hat seinen Großvater nicht mehr kennengelernt.

Lowy wurde erst nach dem Krieg 1947 in Paris geboren. Seine Mutter Ilse Kennemann, ebenfalls Schauspielerin am Stadttheater, heiratete Moritz Löwy, Sohn des früheren Stadtrats für die Nationaldemokratische Partei und Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Ferdinand Löwy. Nach der Besetzung des Sudetenlandes durch das nationalsozialistische Deutschland siedelte das Paar zunächst nach Prag über, wo Ilse weiter Theater spielen konnte. 1939 gelang ihnen die Flucht über Italien nach Frankreich. Mit ihnen im Gepäck befand sich die umfangreiche Korrespondenz von Fritz Kennemann, der bereits 1938 verstorben war, genauso wie Programme, Rezensionen, eine Vielzahl von Fotos und Plakate.

Wissen für alle zugänglich machen

Nachdem seine Mutter 1983 gestorben war, verblieb alles bei Paul Lowy und seinem Bruder Pierre. Doch was tun damit, sofern von Teplice, fragte sich der pensionierte Gymnasiallehrer für Geografie und Geschichte und fasste einen Entschluss: "Ich wollte das umfangreiche Material, das wir zu Hause haben, gern der Öffentlichkeit zugänglich machen", sagt Lowy und entwarf vor sieben Jahren die Idee mit der Webseite.

Er ist bereits zum vierten Mal in Teplice. "Das erste Mal war ich 1982 hier, noch im tiefsten Kommunismus", erzählt er. Nach und nach sammelte er in französischen und deutschen Antiquariaten weiteres Material wie komplette Baupläne und weitere Dokumente. Nach seiner Pensionierung fand er endlich die Zeit, alles im Internet zu veröffentlichen. "Mein Bruder hilft mit seinen Programmierkenntnissen, die Inhalte habe ich beigesteuert", sagt er. Seine Seiten werden gelesen. "Ich verfolge nicht die Statistik, aber es nehmen immer wieder Nachkommen von früheren Schauspielern zu mir Kontakt auf", erzählt er.

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Das größte Interesse kommt aber zweifelsohne aus Teplice. Deshalb weiß Direktor Šoba, dass das Theater vor 100 Jahren und heute gar nicht so weit auseinander sind. "Es ist ein Multifunktionsgebäude, das damals etwas völlig Neues war. Sie konnten in die Oper gehen und danach noch Tanzen, alles im gleichen Gebäude", erzählt er. Dazu gab es ein Kino, ein Restaurant und ein Café sowie einen Kleinen Saal. "Teils nutzen wir das Gebäude noch heute so", sagt Šoba.

Nicht mithalten kann Šoba mit der Programmvielfalt. Vor 100 Jahren wurde Theater, Operette und Oper gespielt und das mit eigenen Ensembles. "Außerdem gab es jeden Tag Vorstellungen, manchmal sogar mehrere", sagt Šoba. Heute dominieren Gastproduktionen. Dafür ist das Theater Heimstatt der Nordböhmischen Philharmonie, die zum großen Teil von der Stadt finanziert wird.

Das Theater beeindruckt aber auch durch seine schiere Größe. Es war damals das größte Theater in der Tschechoslowakei außerhalb von Prag. Der Große Saal fasst rund 1.200 Zuschauer, der Kleine Saal knapp 500.

Dresdner Architekten waren am Werk

Gebaut wurde das Theater übrigens fast komplett in Dresdner Regie. Es gewann der Entwurf des Dresdner Architekten mit böhmischen Wurzeln Rudolf Bitzan, der für das Krematorium in Liberec (das erste in Österreich-Ungarn) bekannt ist, an den Plänen für den Leipziger Hauptbahnhof mitarbeitete und das Rathaus in Freital-Döhlen baute. Für die teils noch vom Jugendstil beeinflusste Innenausstattung holte Bitzan die Dresdner Kollegen Richard Guhr und Alexander Baranowski hinzu. Die Bauzeit lag bei für heutige Verhältnisse unglaublichen 20 Monaten.

Der Vorgänger des heutigen Theaterbaus entstand übrigens bereits Ende des 19. Jahrhunderts an gleicher Stelle, brannte aber 1919 komplett aus. Dass so ein großes Theaterhaus in einer relativ kleinen Stadt wie Teplice bestehen kann, hat übrigens bis heute etwas mit dem Kurwesen zu tun. Die Kurgäste brauchen kulturelle Zerstreuung. "Heute haben wir ja sogar noch das Kulturhaus mit seinem großen Konzertsaal und weiteren Sälen", erinnert Přemysl Šoba. Das wird gerade modernisiert und ist die eigentliche Heimstatt der Philharmonie. "Wir sind sehr oft ausverkauft, auch bei Veranstaltungen, von denen man es nicht erwartet", sagt Šoba. Unter den Besuchern der Philharmonie sind übrigens auch immer wieder Deutsche. Zu den Konzerten treffen regelmäßig organisierte Busse ein.

Das Jubiläumsjahr wird gefeiert

Im Jubiläumsjahr leben die alten Zeiten mit eigenen Premieren übrigens wieder auf. So wurde das Jubiläum bereits am Donnerstag mit der Ouvertüre aus Wagners Meistersingern von Nürnberg gefeiert und komplett mit eigenen Musikern aufgeführt. Das Stück erklang auch vor 100 Jahren zur Eröffnung. "Außerdem spielen wir am 27. Juni die Operette Polenblut des tschechischen Komponisten Oskar Nedbal", kündigt Šoba an. Auch sie erklang kurz nach der Eröffnung. "Dazu wird es eine richtige Premierenfeier geben und da die Musiker und Sänger alle aus Teplice sind, können sie zur Feier auch bleiben", freut sich schon Šoba.

Paul Lowy freut sich dagegen, erstmals in Räume zu gelangen, die er nur aus Plänen kannte. "Bisher war ich nur privat hier, aber der Direktor hat mir eine große Führung versprochen", verrät er. Besonders freut er sich, vom Rang in den Großen Saal zu blicken und auf den Kleinen Saal, der bisher für ihn verschlossen war. Und auf noch etwas freut er sich. Der Oberbürgermeister von Teplice hat vorgeschlagen, seine Webseite als Buch auf Tschechisch herauszubringen.

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