KARDIOLOGIN ERKLäRT - VERGESSEN SIE DEN BMI – DIESER WERT IST WIRKLICH WICHTIG FüR IHRE HERZGESUNDHEIT

Ein gesundes Herz beginnt bei Ihrem Lebensstil. Kardiologin Melanie Hümmelgen beantwortet die brennendsten Fragen zu Ernährung, Sport und Gewohnheiten, die Ihr Herz schützen.

Wie sollte ich mich ernähren, um Herzkrankheiten vorzubeugen?

Wir können mit unserer Ernährung einen großen Einfluss nehmen auf die Entstehung und den Verlauf von Herzkrankheiten. Insbesondere Durchblutungsstörungen durch Gefäßverkalkungen der Herzkranzgefäße und die Schäden durch einen zu hohen Blutdruck können durch eine gesunde Ernährung oft vermieden oder zumindest abgemildert werden. Der Verzicht auf hochverarbeitete tierische Lebensmittel und eine gemüsereiche Ernährung ist meines Erachtens das Allerwichtigste.

Frisch selbst zu kochen ist oft der Einstieg in eine gesunde Ernährung - auch um Übergewicht zu reduzieren. Ich empfehle eine mediterrane Ernährung. Dies bedeutet nun aber nicht Spaghetti Carbonara und Pizza Salami, sondern eine überwiegend pflanzenbasierte Ernährung mit viel frischem Gemüse und zuckerarmen Obst, Vollkorn, vielen Kräutern, guten pflanzlichen Ölen, Nüssen und eher Fisch als Fleisch.

Mit einer salzarmen Ernährung können wir oft sehr gut den Blutdruck senken, der ein wichtiger Faktor in der Entstehung von Herzerkrankungen ist. Wir haben uns durch fast food, snacks und Fertiggerichte oft an einen enorm hohen Salzkonsum gewöhnt-durch frisches Kochen mit vielen Kräutern können wir uns wieder an andere Geschmacksrichtungen gewöhnen und den Salzkonsum reduzieren.

Mein Rat ist pro Woche möglichst mindestens 20 verschiedene Gemüse und zuckerarme Obstsorten kombiniert mit guten pflanzlichen Ölen zu essen. Durch die Vielfalt bekommen wir wieder Lust auf´s Kochen und versorgen uns mit allen wichtigen Mineralien und Vitaminen. Teure Nahrungsergänzungsmittel sind so für die meisten Menschen komplett überflüssig.

Alkohol ist nicht nur gefährlich hinsichtlich seines Suchtpotentials, sondern fördert auch die Entstehung von Herzrhythmusstörungen und Bluthochdruck und ist auch ein Faktor bei der Entwicklung von Übergewicht aufgrund seines hohen Kaloriengehaltes. Daher sollte jeder seinen Alkoholkonsum kritisch reflektieren und als Risikofaktor auch für unsere Herzgesundheit erkennen.

Wie wirkt sich Übergewicht auf das Herzrisiko aus und welche Schritte sind zur Gewichtsreduktion empfohlen?

Das Übergewicht spielt eine sehr große Rolle bei der Entstehung von Gefäßverkalkungen-der Atherosklerose -und damit auch in der Entstehung von Herzinfarkten. Insbesondere überschüssiges Bauchfett ist ein Gesundheitsrisiko und oft an der Entstehung von Durchblutungsstörungen des Herzens beteiligt. Der Body mass Index (BMI) mit der Bestimmung des Körpergewichtes in Relation zur Körpergröße greift hier aber oft zu kurz. Wichtig ist seinen Bauchumfang zu kennen. Den kann man ganz leicht mit dem Maßband selbst bestimmen. Bei Frauen steigt das gesundheitliche Risiko bereits ab 80 cm und bei Männern ab 94 cm an, bei Frauen ab 88 cm und bei Männern ab 102 cm sogar sehr stark.

Übergewicht verursacht auch andere Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2 und Bluthochdruck, die wiederum unsere Gefäße und unser Herz schädigen. Wir rechnen im Durchschnitt mit einer Abnahme von 1mm Hg des Blutdruckes pro Kg Gewichtsabnahme beim übergewichtigen Menschen, das sind dann bis zu 10mmHg Reduktion des Bluthochdrucks bei 10 kg Gewichtsabnahme. Das ist oft mehr, als wir mit einem Medikament erreichen können. Übergewicht entsteht ja ganz banal indem wir mehr Kalorien aufnehmen als wir verbrauchen.

Damit ist auch klar, wie wir es verhindern und reduzieren können, aber es fällt uns einfach sehr schwer, unseren Lebensstil mit unseren erlernten Mustern zu ändern. Wenn wir als Kind gelernt haben, dass Süßigkeiten und der süße Nachtisch als Belohnung oder zum Trösten eingesetzt wurden, wird es uns schwer fallen, als Erwachsener uns anders trösten oder belohnen zu können. Hinzu kommt, dass Essen in hoher Kaloriendichte nahezu immer und überall angeboten wird, das Pizzastück zwischendurch beim Warten auf die U-Bahn auf die Hand, der Snack und die Süßigkeiten an der Tankstelle, die Portion Pommes beim Imbiss um die Ecke auf dem Heimweg oder der Lieferservice, der alles jederzeit liefert, ohne dass wir vom Sofa runtermüssen.

Auch Alkohol hat enorm viele Kalorien und spielt in der Entstehung von Übergewicht oft eine große Rolle, das unterschätzen viele Menschen. Um schnell Übergewicht zu reduzieren, ist eine Alkoholkarenz oft ein idealer Einstieg in ein gesünderes und leichteres Leben Mit Sport allein Übergewicht zu reduzieren ist oft schwer und mühsam, allein mit der Ernährung durch Kalorienreduktion ist es oft nicht nachhaltig. Die Kombination aus reduzierter Kalorienaufnahme durch Umstellung der Ernährungsgewohnheiten plus ein regelmäßiges Bewegungs- und Sportprgramm mit Aufbau von Muskulatur, die unseren Kalorienverbrauch auch in Ruhe erhöhen, ist der allerbeste Weg.

Wichtig ist, keine Diäten zu machen - also für wenige Wochen einen radikalen, rigiden Diätplan einzuhalten, sondern wirklich seinen Lebensstil umzustellen. Ganz elementar ist es, sich realistische Ziele zu Beginn zu setzen, die Bikini-Diät als Crashdiät hilft nie nachhaltig. Eine klare Mahlzeitenstruktur, keine Snacks zwischendurch, keine gesüßten Getränke, frisch selbst kochen, viel Bewegung im Alltag und optimalerweise 30 min Sport am Tag helfen auch langfristig das Gewicht normal und gesund zu halten, aber wir können nicht alles auf einmal ändern. Das führt nur zu Frustrationen.

Wichtig ist es, schrittweise zu ändern, also sich zunächst über sein Essverhalten Gedanken zu machen: warum esse ich was wann. Manchen fällt es schwer auf Süßigkeiten komplett zu verzichten, dann ist eine Reduktion von einer Tafel Schokolade am Abend auf eine Rippe Schokolade schon ein toller Erfolg. Der Verzicht auf gesüßte Getränke wie Limonaden und Säfte kann oft ein guter Einstieg sein.

Beim Sport ist es genauso: niemand läuft aus dem Stand einen Marathon - vor dem Sport kommt die Bewegung im Alltag, also konsequent die Treppe statt den Aufzug nehmen, zu Fuß einkaufen gehen, abends als neue Routine nach dem Essen einen Spaziergang machen, das sind oft die ersten Schritte in ein gesünderes Leben.

Inwiefern beeinflusst Rauchen das Risiko für Herzkrankheiten und welche Strategien gibt es für das Aufhören?

Rauchen verursacht viele Krankheiten und ist ein Hauptrisikofaktor bei der Entstehung von Gefäßverkalkungen und Durchblutungsstörungen der Gefäße und des Herzens. Das Beste ist natürlich, gar nicht erst damit anzufangen. Daher ist es so wichtig, unseren Kindern zu zeigen, dass sie nichts gewinnen durchs Rauchen, sondern nur Gesundheit und Lebensjahre verlieren. Nichtrauchen ist cool, nicht umgekehrt.

Mit dem Rauchen aufzuhören, ist für viele sehr schwer, auch wenn sie wissen, dass sie sich damit schaden, denn es ist eine veritable Sucht. Wichtig ist erlernte Muster zu durchbrechen - also die Zigarette zur Belohnung, die Zigarette zur Beruhigung, die Zigarette als Pause zu ersetzen mit anderen Ritualen. Bei körperlicher Abhängigkeit kann in den ersten Tagen und Wochen auch helfen, Ersatzpräparate wie Nikotin-Kaugummis zu nehmen. Starken Rauchern empfehle ich zunächst, die Anzahl zu reduzieren, also zum Beispiel von 20 Zigaretten zunächst sich runter zu regulieren auf zum Beispiel 5 Zigaretten pro Tag - aber dann muss rasch der Frosch ins Wasser springen und es muss ein klar definierter Schlusspunkt gesetzt werden mit dem Vorsatz: „ab heute bin ich Nichtraucher, ich brauch das nicht mehr“ und dann alle Rauchutensilien wie Aschenbecher und Restzigaretten zuhause wegzuwerfen.

Sich mit dem gesparten Geld etwas zu gönnen, was man sich sonst nicht gegönnt hat, hilft oft am Anfang. Sich Verbündete zu suchen ist auch hilfreich, ebenso sich gerade zu Beginn von Rauchern beim Rauchen fernzuhalten, also nicht mehr mit vor die Tür zu gehen, wenn die Kollegen nach der Mittagspause noch mal zum Raucherpoint gehen. Sehr schwer wird es, wenn der Partner noch weiter raucht, das Aufhören wird zusammen viel leichter fallen. Wichtig ist, sich immer vor Augen zu halten, dass man durch die Zigaretten nichts gewinnt, sondern nur die Entzugssymptome abstellt, die man als Nichtraucher nicht mehr hat.

Welche Rolle spielen Entspannungs- und Stressmanagementtechniken für die Herzgesundheit?

Stress spielt eine große Rolle bei der Entstehung von vielen Herzerkrankungen. Stressbewältigung ist wie Ernährung und Bewegung eine wichtige Säule in der Vermeidung und auch in der Behandlung von Herzerkrankungen. Gerade beim Bluthochdruck als wichtiger Risikofaktor von Durchblutungsstörungen der Gefäße und des Herzen spielen Stressbewältigung und gute Entspannungsstrategien eine große Rolle.

Sport ist ein ganz wichtiger Baustein dabei und wirkt nicht nur körperlich schützend wie ein Medikament, wie zum Beispiel der Betablocker, sondern auch entspannend und stimmungsaufhellend wie ein Antidepressivum.

Oft helfen schon kleine Rituale, sich besser zu entspannen. Wichtig ist zu wissen: Entspannung lässt sich nur bedingt aufschieben: wir brauchen auch im Alltag im Tagesverlauf kleine Entspannungsinsel, nicht erst am Wochenende. Atemübungen, Yoga-Einheiten, autogenes Training, progressive Muskelrelation sind Techniken, die auch im Alltag ihren Platz finden sollten, nicht nur in einem Kurs im Ferienhotel.

Viele Menschen reagieren auf Stress mit Schlafstörungen und können nicht gut einschlafen. Hier neue Rituale zu finden am Abend, um den Tag abzuschließen, hilft besser als eine Schlaftablette: Tagebuch am Abend schreiben, lesen, eine Runde spazieren gehen hilft oft, um Abstand vom Tag und seinen Problemen zu gewinnen.

Wie oft und intensiv sollte man Sport treiben, um das Herz zu schützen?

Die WHO hat hier klare Empfehlungen postuliert: 150-300 Minuten pro Woche leichte sportliche Aktivitäten oder 75-150 Minuten anstrengenderen Sport in Kombination mit täglichen Muskelaufbauübungen sind ideal. Frauen profitieren noch schneller als Männer auch von kleineren Sportumfängen. Ausdauersportarten wie Joggen, Walking, Radfahren oder Schwimmen helfen dem Herz-Kreislaufsystem am allerbesten, aber der beste Sport ist der, den wir mit Spaß auch regelmäßig ausüben. Je älter wir werden, desto wichtiger sind Koordinationsübungen, die wir ideal auch bei Sportarten wie Ballsportarten und Gymnastikeinheiten trainieren.

Gibt es alltagstaugliche Tipps, um einen herzgesunden Lebensstil leicht umzusetzen?

Wichtig ist, nicht alles auf einmal ändern zu wollen. Niemand kann gleichzeitig mit dem Rauchen aufhören, jeden Tag 30 min Joggen gehen oder seine Ernährungsmuster komplett umkrempeln von einem Tag auf den anderen. Leichter fällt es, sich einfache Veränderungen vorzunehmen, die dann aber konkret, konsequent und verbindlich umzusetzen.

Beim Sport fängt es mit mehr Bewegung im Alltag an: ab morgen keinen Fahrstuhl mehr nehmen, seine Schritte zu zählen und jede Woche sich vorzunehmen, 1000 Schritte mehr am Tag zu machen indem man zum Beispiel zu Fuß zur Arbeit geht und eine Haltestelle früher aus dem Bus aussteigt, all dies gelingt leicht und bringt enorm viel. Oft hilft beim Sporteinstieg auch feste Verabredungen zu treffen, also in einen Sportverein einzutreten, Verbindlichkeiten in einer Mannschaft zu haben oder mit der Freundin an festen Wochentagen laufen zu gehen denn Verabredungen mit anderen sagt man nicht so leicht ab.

Aber es gelingt auch mit sich selbst: Sporteinheiten fest einplanen, zum Beispiel schon morgens vor der Arbeit laufen zu gehen - dann schiebt man es nicht den ganzen Tag vor sich her, Nachrichten oder die Lieblingsserie immer auf dem Ergometer zu Hause zu schauen denn so schafft man neue Rituale.

Mit der Ernährung gelingt es oft auch besser Schritt für Schritt: zum Beispiel zunächst die gesüßten Getränke wie Limonaden konsequent wegzulassen, ist oft ein guter und einfacher Einstieg. Süßigkeiten und Chips gar nicht erst einzukaufen ist oft leichter als jeden Tag an der Schublade vorbeizukommen und widerstehen zu müssen.

Mahlzeitenstrukturen sind oft verloren gegangen und man hat sich angewöhnt eigentlich dauernd zwischendurch oder unterwegs zu snacken, da helfen geplante Mahlzeiten oft schon, um dies zu durchbrechen. Konsequent frisch und selbst kochen, sich etwas mitzunehmen zur Arbeit statt beim Bäcker noch schnell was auf die Hand zu kaufen, sind oft neue Rituale, die schnell erfolgreich sind.

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